Die Tradition Quantième Rétrograde

by Jeffrey S. Kingston

Es gab einen bekannten amerikanischen Komiker, ­Rodney Dangerfield (1921–2004), dessen lange Karriere vor allem auf einem Satz beruhte: „I don't get no respect, no respect at all.“ In gewisser Weise könnte sich die Datumsanzeige diesem Motto anschließen. Bei fast allen Uhren ist das Datum durch ein Fenster zu sehen, unter dem sich auf der Zifferblattseite des Uhrwerks eine schmale Scheibe dreht, oder es wird durch einen separaten Zeiger angegeben. Beide Varianten sind einfach zu realisieren und werden in der Fachsprache als „kleine Komplikationen“ bezeichnet. Sie sind zweifellos nützlich, aber gelten in der Uhrmacherkunst nicht als große Herausforderung – nein, viel Respekt wird ihnen tatsächlich nicht gezollt.

Das gilt jedoch nicht für alle Datumsanzeigen, und schon gar nicht für eine Version, die für die Kollektion Tradition von Breguet bestimmt ist – eine Standardausführung mit Datumsscheibe oder einem herkömmlichen Datumszeiger konnte hier nicht genügen. Da diese üblichen Konstruktionen nicht in Frage kamen, sahen sich die Uhrmacher von Breguet mit zwei bedeutenden Herausforderungen konfrontiert. Einerseits musste eine Datumsanzeige entwickelt werden, die dem Layout und der Ästhetik dieser Kollektion gerecht wird, andererseits galt es, den Mechanismus in den begrenzten Raum unter dem dezentral angeordneten Zifferblatt zu integrieren.

Die Konstruktion der heutigen Tradition Quantième Rétrograde erinnert an die Taschenuhr von Abraham-­Louis Breguet mit der Nummer 960, die am 2. Oktober 1806 an den berühmten Wasserbauingenieur Augustin de Bétancourt geliefert wurde. Die Bezüge zu diesem historischen Zeitmesser sind unschwer zu erkennen: das zentrale Federhaus auf der Hauptplatine, die Anzeige der Uhrzeit auf einem kleinen, dezentralen guillochierten Zifferblatt, das Räderwerk, das von Unruh und Hemmung ausgeht und in einem eleganten Bogen unter dem Gehäuse verläuft, die Form der Brücken, die Parachute- Stoßsicherung auf dem Unruhkloben. Die Anzeige des Datums durfte die Harmonie dieses zeitlosen Layouts keinesfalls stören und sollte zugleich leicht ablesbar sein. 

Verschiedenste Möglichkeiten wurden monatelang erwogen, bevor sich die Konstrukteure darauf einigten, die 31 Tage am unteren Rand des Uhrwerks aufzulisten und auf den aktuellen Tag mit einem Datumszeiger aus der Mitte zu verweisen. Dieser rückt Tag für Tag vor und kehrt am Monatsende auf die 1 zurück – ein System, das in der Uhrmachersprache als „retrograd“ bezeichnet wird.
 

Bei der Konzeption der Datumsanzeige für die Tradition Quantième Rétrograde sahen sich die Uhrmacher von Breguet mit zwei Herausforderungen konfrontiert: Sie mussten ein Anzeigesystem finden, das zur durchbrochenen Ästhetik der Uhr passte und gleichzeitig ermöglichte, diesen Mechanismus im begrenzten Raum unter dem Zifferblatt unterzubringen. 

Taschen­uhr Nr. 960

Breguet-960

Die Kollektion Tradition von Breguet ist von dieser Taschenuhr inspiriert, die am 2. Oktober 1802 dem berühmten Wasserbauingenieur Augustin de Bétancourt geliefert wurde. Die Unter­suchung dieses historischen Stücks offenbart Ähnlichkeiten mit den heutigen Zeitmessern: das Federhaus in der Mitte der Platine, das kleine dezentrale Zifferblatt bei 12 Uhr, die direkt vom Federhaus angetriebenen Zeiger, die anmutig geschwungenen Komponenten mit der Unruh und den Zwischenrädern, die in einem Kreisbogen zwischen 4 und 8 Uhr angeordnet sind, die Formen der Brücken und die Para­chute-Stoßsicherung. Diese grund­legende Architektur, die beiden Uhrwerken gemeinsam ist, vereint Zeitmesser, die in einem Abstand von zwei Jahrhunderten entstanden sind.

Dieses Grundkonzept für die Anzeige des Datums war jedoch erst der Anfang. Im Anschluss galt es einen Mechanismus zu entwickeln, der sich passgenau in das Uhrwerk integrieren ließ. Ein retrogrades Datumssystem ist per se ein komplexes Konstrukt, das zumeist auf einer separaten Platine über der Werkplatte montiert wird. Dies wäre jedoch völlig unvereinbar mit dem Design der Kollektion Tradition, da so die wichtigsten Organe des Uhrwerks verdeckt würden, deren Sichtbarkeit doch das Kern­element ihrer DNA ist. 

Die Herausforderung für die Konstrukteure bestand also darin, ein komplexes retrogrades System in das Uhrwerk zu integrieren, ohne dabei die Sicht auf seine anderen Komponenten zu beeinträchtigen. Dies bedeutete, dass der gesamte Mechanismus unter dem dezentral bei 12 Uhr angeordneten guillochierten Zifferblatt von 18,5 mm Durchmesser montiert werden musste.

Dabei muss man zunächst die Besonderheiten eines retrograden Datumssystems im Vergleich zu einer herkömmlichen Anzeige der 31 Tage auf einer rotierenden Scheibe unter dem Zifferblatt oder Datumszeiger berücksichtigen, der eine ganze Umdrehung vollzieht. Bei den beiden letzteren Konstruktionen genügen ein 24-Stunden-Rad mit 31 Zähnen und eine Vorrichtung, die diese Anzeige um Mitternacht vorrückt. 

Im Gegensatz dazu muss bei einem retrograden Datum die 360-Grad-Drehung eines Rads mit 31 Zähnen in eine Bogenbewegung übersetzt werden. Darüber hinaus ist eine Methode zum Speichern von Energie erforderlich, damit der Datumszeiger am Ende seines Weges schnell auf die 1 zurückkehren kann.

Und schließlich muss der Mechanismus so konstruiert sein, dass er nicht beschädigt wird, wenn man die Zeit über Mitternacht hinaus zurückstellt. 

Ein retrogrades Datum ist schon von der Konstruktion her kompliziert, vor allem, wenn es nicht auf einer separaten Platine montiert ist.

Wie fast alle Datumsanzeigen wird auch das Datumssystem dieser Tradition von einem 24-Stunden-Rad (B) geschaltet, das wiederum von einem zweiten Rad (A) angetrieben wird, das direkt mit dem Federhaus verbunden ist. Am 24-Stunden-Rad ist eine flexible Spiralfeder (C) befestigt, die in einem Finger endet. Um Mitternacht dreht sich der Finger mit dem 24-Stunden-Rad, greift in ein Zwischenrad (D) ein und rückt es einen Zahn weiter. Diese Konstruktion ist äußerst ausgeklügelt, denn wenn die Zeit über Mitternacht hinaus zurückgestellt wird, kann der Finger dank seiner Form und Flexibilität am restlichen Datumssystem vorbeigleiten, ohne es zu beeinträchtigen oder zu beschädigen. Zudem wurde seine Form so konzipiert, dass er in allen Lagen einwandfrei funktioniert. Das Zwischenrad greift wiederum in ein Rad mit 31 Zähnen (E) ein – rückt das Zwischenrad einen Zahn vor, bewegt sich das Rad mit 31 Zähnen ebenfalls um einen Zahn weiter, was einem Tag entspricht. Eine Feder (N) wirkt auf einen Hebel (M) dieses Rads mit 31 Zähnen ein, um das Datumsrad nach jeder Vorwärtsbewegung festzuhalten und diese Position so zu sichern.

Mit dem Vorrücken des Monatsrads ist die Sache jedoch noch längst nicht erledigt – wie bereits erwähnt, ist dieses System viel komplexer als ein einfacher Datumszeiger, der direkt auf einen Trieb montiert ist. Ist das Zentrum des Datumssystems ein Rad mit 31 Zähnen, das sich in diesem Zeitraum um 360 Grad dreht, und wird das Datum ebenfalls über volle 360 Grad angezeigt, dann stimmen die Drehung von Rad und Anzeige unmittelbar überein und es ist keine Übersetzung erforderlich.

Da bei einem retrograden System die 31 Tage jedoch nicht über 360 Grad, sondern nur über rund 153 Grad aufgelistet sind, musste die volle Umdrehung in einen kleineren Bogen übertragen werden. Dafür hat Breguet das 31-Zähne- Rad mit einer fest montierten Schnecke (F) ausgestattet, die 31 abgerundete Stufen und am Ende eine scharf abfallende Kante aufweist. In diese Schnecke greift ein Rechen (G) mit einem verstellbaren Finger ein, der durch eine Exzenterschraube (H) positioniert wird und über ein Zahnrad (I) mit dem Datumszeiger (J) verbunden ist. Rückt das 31-Zähne-Rad vor, dreht sich auch diese Schnecke mit und schiebt über den Finger des Rechens den Datumszeiger einen Tag weiter.

Die Verbindung zwischen der Schnecke und dem Finger, der daran entlangfährt, ist für das System entscheidend. Damit jede Bewegung des 31-Zähne-Rads und seines Nockens eine genau zentrierte Weiterschaltung des Datums bewirkt, hat Breguet die Spitze des Fingers mit einer verstellbaren Exzenterschraube (H) versehen. Bei der Montage des Uhrwerks kann der Uhrmacher den Eingriff von Schnecke und Finger exakt justieren, um sicherzustellen, dass der tägliche Vorschub korrekt ist. Dieses Reguliersystem wurde von Breguet zum Patent angemeldet.

 

Im Gegensatz zu den üblichen Datumsanzeigen mit den 31 Tagen auf einer Kreisscheibe sind die Daten bei der Tradition auf einem Bogen von 153 Grad aufgelistet, für den ein System mit rückspringendem Zeiger aus der Mitte entwickelt wurde.

VORRÜCKEN VON 1 BIS 31


A    Rad in direkter Verbindung  mit dem Federhaus
B     24-Stunden-Rad
C    Flexible Spiralfeder  (am 24-Stunden-Rad befestigt)
D    Zwischenrad
E    Rad mit 31 Zähnen
F    Schneckennocken (fest mit dem 31-Zähne-Rad verbunden)
G    Rechen mit verstellbarem Finger
H    Verstellbarer Finger, durch  eine Exzenterschraube positioniert
I    Am Datumszeiger befestigtes Rad
J    Datumszeiger

Neben diesen Elementen zur Datumsschaltung von 1 bis 31 ermöglichen weitere Komponenten das selbsttätige Rückstellen von 31 auf 1. Mit dem Datumszeiger-Zahnrad ist ein zweiter Rechen (K) verbunden, der sich bei jedem Vorrücken des Datums leicht dreht. Seine tägliche Drehung spannt auf der Rückseite der Hauptplatine eine sehr feine Blattfeder (L). Nach dem 31. Tag geschehen gleich mehrere Dinge: Zunächst stößt der Finger (G), der an der Kante der Schnecke (F) entlanggefahren ist, auf den abfallenden Teil des Nockens. 

Dieser Abfall gibt den Finger frei, der sich nun – angetrieben von der Blattfeder, die im Laufe der 31 Tage Spannung aufgebaut hat – in die entgegengesetzte Richtung seines Vorlaufs bewegt. Diese Bewegung des Fingers dreht wiederum den Datumszeiger von 31 auf 1 zurück. Gleichzeitig erfüllt die Feder noch einen zweiten Zweck: Sie hält den Rechen in Kontakt mit der Schnecke und verhindert, dass der Datumszeiger durch die Bewegung in der Mulde zwischen den Zähnen Spiel bekommt.
 

Der Datumszeiger selbst ist raffiniert konstruiert. Damit er sich aus der Mitte drehen kann, ist die Federhauswelle speziell für die Zeigerachse konzipiert. Da sich der Drehzapfen des Zeigers unter dem Zifferblatt befindet, ist sein Profil abgewinkelt und leicht gestuft angehoben, um ihn auf die Höhe des  Datumrings zu bringen.

RÜCKSTELLEN VON 31 BIS 1

K    Zweiter Rechen (fest mit dem ­­Datumszeigerrad verbunden)
L    Blattfeder (durch den zweiten Rechen gespannt)
M   Vorschub des Rades  (über das Zwischenrad, welches das Rad mit 31 Zähnen vorschiebt
O   Schnellkorrektursystem

Up:

La forme de la masse oscillante rappelle les montres perpétuelles historiques de Breguet.

Tradition Quantième Rétrograde 7597

Tradition en or blanc 18 carats avec quantième rétrograde. Mouvement à remontage automatique. Spiral Breguet en silicium. Cadran excentré en or argenté guilloché à la main. Étanche à 3 bar (30 m). Diamètre : 40 mm.

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Doch bei dieser Konstruktion gibt es noch eine weitere Komplikation: den Datumszeiger selbst. Die harmonischste Anordnung ist ein Zeiger aus der Mitte des Zifferblatts. Das Konzept scheint einfach zu sein, seine Umsetzung erforderte in diesem Fall jedoch Kreativität. 

Bei der Konstruktion dieses Modells der Kollektion Tradition befindet sich das Federhaus in der Mitte des Uhrwerks, was bedeutet, dass die zentrale Welle genau dort liegt, wo die Achse des Datumszeigers platziert werden sollte. Die Lösung bestand darin, die Federwelle so auszuhöhlen, dass die Achse des Datumszeigers darin Platz hat. Das obere Ende der Datumszeigerachse sitzt in einem Rubinlager in der Brücke, die sich unter dem Zifferblatt verbirgt. 

Da der Datumszeiger beide Brücken und die Unruh des Uhrwerks überragen muss, ist sein Profil am äußeren Ende abgewinkelt und erhöht. Um dieses Profil zu realisieren und zugleich Genauigkeit und Stabilität zu gewährleisten, war ein komplexer Formgebungsprozess erforderlich.

Noch ein weiteres Schlüsselelement ist erforderlich, ­damit das Datumssystem voll funktionsfähig ist: die manuelle Schnellkorrektur (O). Hierzu hat Breguet den Zeitmesser mit einem Drücker bei 10 Uhr ausgestattet, der sich verschrauben lässt, um ein unbeabsichtigtes Aus­lösen zu vermeiden.

 

Ansonsten lehnt sich die neue Tradition eng an die ­Tradition Automatique an und teilt mit ihr die Architektur der wichtigsten Komponenten sowie die Form des Aufzugsrotors. Dieser ist von den historischen Montres perpétuelles übernommen – deren berühmtestes Beispiel vielleicht die Taschenuhr Nr. 160 „Marie-Antoinette“ von Abraham-Louis Breguet ist. 

Eine weitere Gemeinsamkeit ist der Gehäusedurchmesser von 40 Millimetern sowie die Gangreserve von 50 Stunden. Ein Unterschied besteht beim Saphirglas: Die neue Version ist mit einem kastenförmigen Glas ausgestattet, dessen leicht erhöhte Seiten mehr Licht in das Uhrwerk bringen und die Ablesbarkeit verbessern. 

Angeboten werden drei Varianten dieses Zeitmessers: in Roségold oder in Weißgold mit Zifferblättern aus rhodiniertem und guillochiertem massivem Gold sowie eine dritte Version in Weißgold, dank der die Farbe Blau in die Kollektion Tradition Einzug hält. Bei dieser Uhr ist das guillochierte Goldzifferblatt blau beschichtet, und dieselbe Farbe wurde auch für die Datumsanzeige verwendet. 

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